– Das Westpfalz Journal Gespräch mit Frank Eschrich, Vorsitzender DIE LINKE, Pirmasens und Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Alexander Ulrich –

Westpfalz-Journal: Die Linke hat auf Bundesebene ca. 5 % der Stimmen, wird sie dem damit verbundenen Auftrag noch gerecht?
Selbstverständlich wird der Wählerauftrag durch unsere Bundestagsfraktion erfüllt, sie machen weiterhin eine gute Arbeit in Berlin. Nichtsdestotrotz ist die Linke in einer Existenzkrise, das kann nicht bestritten werden. Wir haben zahlreiche Austritte von Mitgliedern, auch in Rheinland-Pfalz. Die Krise hat meiner Ansicht nach mit der Führung von Kipping und Riexinger begonnen. Seit dieser Zeit hat die Linke ihre eigentlichen Ziele als Arbeiterpartei, als sozialistisch demokratische Kraft, aus den Augen verloren. Hinzu kam der Streit zwischen Wagenknecht und der Partei, nicht zuletzt deshalb, weil die Parteivorsitzende unbedingt auch Fraktionsvorsitzende im Bundestag werden wollte.

Westpfalz-Journal: Wieso ist das Wahlkreisbüro der Linken von Alexander Ulrich jetzt in Pirmasens, obwohl Ulrich doch im Wahlkreis Kaiserslautern gewählt wurde?
Alexander Ullrich ist im Wahlkreis Kaiserslautern gewählt und hatte dort auch sein Büro bis Ende des vergangenen Jahres. Die Vermieterin in Kaiserslautern hatte im Dezember wegen Eigenbedarf gekündigt. Im Moment gibt es diesen Standort hier in Pirmasens. Aber Ullrich arbeitet daran, ein neues Büro, wahrscheinlich im Juni 2023, in Kaiserslautern zu eröffnen.

Westpfalz-Journal: Wie sieht es mit den Linken vor Ort in Pirmasens aus? Was sind die Themen?
In Pirmasens läuft die Linke entgegen dem Bundestrend noch relativ gut. Auch wir haben Austritte zu beklagen, aber meine 15-jährige Zugehörigkeit zum Stadtrat sorgt für Kontinuität. Unsere Themen sind natürlich die sozialen Probleme der Stadt Pirmasens, die Schuldensituation und zum Beispiel ganz aktuell das Thema Ärztemangel. Wir als Linke haben es im Stadtrat Pirmasens begrüßt, dass die Stadt einer Initiative beigetreten ist, die Stipendien an Medizinstudenten vergibt, die sich im Gegenzug dazu verpflichten, in Pirmasens eine Hausarztpraxis zu eröffnen. Das allerdings kommt in Bezug auf den Ärztemangel alles viel zu spät. Ein Medizinstudium dauert ca. 10 Jahre, das heißt bis dahin sind die Praxen in Pirmasens besonders bei den Hausärzten wahrscheinlich längst geschlossen.

Westpfalz-Journal: Was ist da schief gelaufen, wie konnte es soweit kommen?
Wir haben das Thema Ärztemangel in Pirmasens seit mindestens 10 bis 15 Jahren diskutiert. Im Stadtrat, es gab runde Tische, es gab Initiativen, wir haben als Stadtratsfraktion zahlreiche Vorschläge gemacht, zum Beispiel eine Genossenschaft oder ein kommunales MVZ zu gründen. Vorschläge, die der heutigen Lage der jungen Ärzte entgegenkommen, die nicht mehr 16 Stunden am Tag arbeiten wollen und sich eine Work-Life-Balance wünschen. All das könnte man zum Beispiel in einem MVZ auffangen. In vielen Kommunen in Rheinland-Pfalz wird das erfolgreich gemacht wird, in Pirmasens und Umgebung aber nicht. All unsere Vorschläge wurden im Stadtrat immer alle samt abgelehnt mit der jetzigen Konsequenz des Ärztemangels.

Westpfalz-Journal: Kommen wir zur Sahra Wagenknecht, die kürzlich eine Friedensinitiative für den Ukrainekrieg gestartet hat. Was ist Ihre Meinung dazu?
Grundsätzlich Zustimmung! Selbstverständlich ist die Linke nach wie vor die Friedenspartei im deutschen Parlament. Den Friedensaufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer habe ich persönlich unterschrieben. Was mich an der Sache allerdings stört ist, dass Sahra Wagenknecht in Beiträgen und Talkshows die Kriegsschuld relativiert. Es nutzt überhaupt nichts, dass man darauf verweist, dass auch die Amerikaner in der Vergangenheit Kriegsverbrechen begangen haben, dass es rechtswidrige Kriege auch mit deutscher Beteiligung zum Beispiel in Jugoslawien gab. Das mag zwar alles stimmen, relativiert aber nicht die Kriegsschuld im Ukrainekrieg. Die geht ganz eindeutig von Russland aus. Das ist ein verbrecherischer Angriffskrieg und das muss man auch so benennen. Mit der Relativierung der Kriegsschuld macht sich Sahra Wagenknecht keinen Gefallen. Dennoch sind für eine konsequente Friedenspartei wie der Linken Verhandlungen selbstverständlich, Pazifismus ist das oberste Gebot. Krieg ist niemals gerechtfertigt, es gibt keinen gerechten Krieg. Es wurde noch kaum ein Krieg in der Geschichte auf dem Schlachtfeld entschieden, sondern immer in Verhandlungen. Insofern ist die Forderung von Sahra Wagenknecht nach Verhandlungen, was zum Beispiel auch von dem Philosophen Precht gefordert wird, mehr als gerechtfertigt. Weill es keinen anderen Weg gibt, die Alternative ist die Eskalation bis möglicherweise hin zum Weltkrieg, bis zum Atomkrieg. Das würde das Ende der Menschheit bedeuten.

Westpfalz-Journal: Wir haben die UNO, die nach dem zweiten Weltkrieg extra für solche Situationen gegründet wurde. Warum wird das nicht mehr in den Vordergrund gestellt?
Es gibt aus meiner Sicht keine ernsthaften Bemühungen der UNO und der damit vertretenen Staaten, um wenigstens einen Waffenstilstand hinzubekommen und Verhandlungen einzuleiten, sondern es wird auf die Karte der Entscheidung gesetzt. Ich sehe überhaupt nicht, dass man diesen Krieg mit kriegerischen Mitteln, also mit Gewalt, lösen könnte. Es besteht dann die Gefahr, dass sich die Eskalationsspirale immer weiterdreht und wir am Ende einen dritten Weltkrieg bekommen. Die Unterstützung für die Ukraine könnte viel besser aussehen, es müssen nicht Waffen geliefert werden. Wenn man Waffen ins Kriegsgebiet liefert, trägt man nicht zu einer friedlichen Lösung bei.
Wir sind auf dem Weg in einen Abnutzungskrieg, die Ukraine soll weiterhin mit Waffen und möglicherweise auch mit Soldaten unterstützt werden, um Putin dahin zu bringen, seinen verbrecherischen Angriffskrieg aufzugeben. Wenn man damit überhaupt Erfolg haben wollte, würde sich der Krieg über Jahre hinziehen. Und das kann doch nicht im Interesse der Ukraine sein, wenn am Ende dieses Prozesses ein total zerstörtes Land und hunderttausende Opfer stehen. Das kann doch nicht der Weg einer zivilisierten Welt sein, wo man nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges gedacht hat, dass so etwas nie wieder passieren könnte. Also, ich finde die Welt ist verrückt, man kann das nicht anders ausdrücken.

Westpfalz-Journal: Krieg ist doch keine Lösung! Wo bleiben die Pazifisten?
Krieg ist keine Lösung, da kann ich nur zustimmen, das kann ich unterstreichen. Es gab schon mehrere Friedensappelle, nicht nur der von Wagenknecht, aber die spielen in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle. Und wer den pazifistischen Grundgedanken vertritt, der wird in die Rolle des Putinverstehers und des großen Russlandliebhabers gedrängt, er wird sofort niedergeschrien und er erhält einen shitstorm. Das erinnert mich fast an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als man mit großem Hurra ins Feld marschiert ist. Die Friedensbewegung war schon immer eine marginalisierte Gruppe, aber jetzt werden die Menschen, die aufrichtig pazifistische Grundgedanken vertreten, immer weniger. Und so ist leider in den Köpfen der Menschen, dass Krieg ein Mittel der Politik ist.

Westpfalz-Journal: Liegt die Schuld für den Ukrainekrieg allein bei Russland?
Man muss die Kriegsverbrechen in der Ukrainerin sehen, die Vergewaltigungen, die Folterungen, das muss man in aller Schärfe verurteilen und ist durch nichts zu relativieren. Andererseits gibt es für diesen Krieg auch politische Gründe: Zum Beispiel, als der Eiserne Vorhang fiel, gab es die Erklärung, es wird keine NATO Osterweiterung geben. Und jetzt steht die NATO vor den Türen Russlands. Dass dies nicht in Russland auf Gegenliebe stößt, hätte jedem klar sein müssen. Aber dies rechtfertigt keinesfalls den Krieg gegen die Ukraine.

Westpfalz-Journal: Ein anderes Thema: Die Diskrepanz zwischen oben und unten wird immer größer, ist das nicht eigentlich ein Kernthema der Linken?
Das ist eines der Probleme der Linken: die klassischen Themen, Sozialpolitik, Rentenpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Gesundheitspolitik spielen eine immer geringere Rolle. Diese Themen sind zwar nicht vom Tisch, aber es sind in den letzten Jahren andere Themen hochgekommen, die Themen der lifestyle-Linken: Man kümmert sich mehr um persönliche Befindlichkeiten als um Kinderarmut oder um Hartz IV. Wir sind einmal angetreten mit dem Spruch, Hartz IV muss weg, davon spricht heute niemand mehr. Die Linke hat sich von ihren eigenen Werten und Zielen entfernt und bedient im Moment viele Randthemen. Die Linken sind grüner als die Grünen, das ist meiner Ansicht nach ein Irrweg, den die Linke hier eingeschlagen hat, der dringend korrigiert werden muss.

Westpfalz-Journal: Hat die Linke nach dem Ergebnis der letzten Bundestagswahl Zukunftsängste, Angst davor von der politischen Bühne zu verschwinden?
Die Gefahr, dass die Linken von der politischen Bühne verschwinden, ist real. Nach der kürzlich beschlossenen Wahlrechtsreform wird die Linke, wenn sich nichts ändert, nicht mehr im Bundestag vertreten sein. Das käme dem Aus gleich, denn wenn man nicht im Bundestag vertreten ist, ist man eine Splitterpartei. Die Abwärtsspirale würde weiter in Gang gesetzt werden. Ich kann nur hoffen und an meine Parteigenossinnen und -genossen appellieren, zu den alten Werten und Zielen der Partei zurückzufinden: Sich wieder als klassische Arbeitnehmerpartei verstehen, als Partei des Sozialstaates, die Themen Rente, Gesundheit, Arbeitsmarkt wieder nach vorne kehren, sich für eine gerechte Steuerpolitik einsetzen, für eine Umverteilung des Reichtums von oben nach unten, die klassischen Ziele der Linken wieder auf die Tagesordnung bringen, sich mal ein bisschen weniger um Gendersternchen oder sexuelle Vorlieben kümmern. Das sind zwar alles Themen, die nicht unwichtig sind, aber die gehören nicht zum Markenkern der Linken.

Westpfalz-Journal: Die Linke war doch einmal die Partei für die unterdrückte Klasse. Haben wir nicht mit den älteren Menschen, eine neue teilweise verarmte zumindest aber häufig vereinsamte Klasse?
Letztendlich ist das das Grundproblem des Kapitalismus: Was sich nicht rechnet, wird an den Rand gedrängt, niemand kümmert sich darum. Und das ist bei den Jüngsten und bei den Ältesten der Fall. Sie werfen keinen Mehrwert in dem Sinne, dass sie etwas zur Vermehrung des Reichtums beitragen, ab, deshalb werden sie nicht beachtet und außen vorgelassen. Ich habe kürzlich den Artikel über die Gemeindeschwester von Pirmasens gelesen, in einer Stadt, die total überaltert ist, soll es mal gerade eine Schwester geben. Seit Jahren wissen wir, wie verarmt diese Menschen sind, da reicht eine Schwester natürlich vorne und hinten nicht. Was ist das für eine Gesellschaft, die mit alten Menschen und Kindern so umgeht. Wenn man es sarkastisch sagen will, die alten Leute haben keinen Marktwert, deshalb können Sie in Ihrer Wohnung einfach vergammeln. Das ist für mich schrecklich und unerträglich, wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Die Lage verschärft sich noch durch die Inflation und die Energiepreiskrise und ich sehe keinen politischen Willen, das tatsächlich einmal in die Hand zu nehmen und zu ändern.

Westpfalz-Journal: Eine persönliche Frage: Sie haben ein ganzes Leben für die Ideale der Linken gekämpft und jetzt diese Zeiten. Wie gehen Sie damit persönlich um?
Ich bin fast seit genau 30 Jahren Mitglied in dieser Partei. Statt den erhofften Aufschwung muss ich nun den drohenden Niedergang der Partei erleben. Wenn man sein persönliches Fazit zieht, was habe ich tatsächlich erreicht, da steht dann leider nicht viel. Das ist schon sehr frustrierend und niederschmetternd. Mir fehlt derzeit aber auch die Kraft, mich dagegen aufzubäumen. Für mich bleibt nur die Hoffnung, dass es einmal ein Wums, so wie es Bundeskanzler Scholz sagen würde, geben wird, ein Ruck der durch die Partei geht und sich alle auf die eigentlichen Werte der Partei besinnen.
Es gibt ja die Debatte um eine neue Partei, mit diesem Gedanken kann ich mich jedoch nicht anfreunden. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, das linke Spektrum, das sowieso schon klein ist, noch einmal zu teilen.
Im Jahre 2009 hätte man vielleicht anders agieren müssen, nicht auf Fundamentalopposition setzen, sondern eine Regierungsbeteiligung anstreben, dann würde man heute vielleicht anders dastehen.
Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, der Krieg, die Vereinsamung, die Ausbeutung und Verelendung der an den Rand Gedrängten wächst unaufhörlich, also der Bedarf für eine linke Partei, die Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund stellt, ist vorhanden, und dann die jetzige Situation, das ist paradox.

Westpfalz-Journal: Sie haben einen Wunsch frei, was wünschen Sie sich?
Mein größter Wunsch ist, dass Frieden in Europa einkehrt. Ohne Frieden ist alles nichts. Wir können uns mit Alltagsproblemen in der Politik beschäftigen, aber die sind nichts gegen einen Krieg. Der Krieg in der Ukraine, in Europa soll schnellstmöglich beendet werden.
Meine Hoffnung auf ein schnelles Ende des Krieges ist jedoch nicht besonders groß: Der Westen wird weiter Kriegsmaterial in die Ukraine liefern und Putin wird nicht nachgeben, schon allein aus innenpolitischen Gründen.
Wenn man nicht eine für alle gesichtswahrende Lösung findet, wird der Krieg immer weiter eskalieren, vielleicht so lange, bis Russland Atombomben einsetzt. Das aber wäre dann das Ende der Menschheit, da bin ich leider pessimistisch.
Die Hoffnung ist da, aber ich sehe im Moment keine tatsächlichen Ansatzpunkte, um die Krise zu lösen. So schlimm war es noch nie, noch nie in meiner ganzen politischen Laufbahn.

Das Interview führte Wolfgang Feth

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